KI und Automatisierung: Die Zukunft der Halbleiterfertigung (Teil 1)

28. Juni 2023
Der Mensch trägt die Verantwortung, aber die Maschine arbeitet – automatisiert. In einigen Branchen ist es bereits Praxis. Die Halbleiterindustrie geht einen Schritt weiter und plant, ihre Fabriken komplett zu digitalisieren.

Die Halbleiterindustrie steht vor einer Revolution. Die Kombination aus künstlicher Intelligenz (KI) und fortschrittlichen Automatisierungstechnologien eröffnet völlig neue Möglichkeiten für eine flexiblere Produktion, vielfältigere Produkte und optimierte Prozesse. Das Vorhaben ist jedoch auch höchst komplex – und nicht alle Weichen sind gestellt.

Die Halbleiterindustrie ist für den Einsatz komplexer Automatisierungstechnologien bekannt, vor allem bei repetitiven Aufgaben und standardisierten Prozessen. Doch der wachsende Markt fordert eine flexiblere Produktion, vielfältigere Produkte und optimale Prozesse bei steigender Komplexität. Halbleiterhersteller streben nach autonomeren Abläufen, einschließlich einer besseren Mensch-Maschine-Interaktion. Hier kann künstliche Intelligenz (KI) eine hilfreiche Ergänzung sein.

Neue Impulse für die industrielle KI

Gängigen KI-Technologien begegnet man bereits heute in vielen Bereichen der Halbleiterindustrie. Sie unterstützen die Produktentwicklung, die digitale Produktdefinition (DPD) und das Wissensmanagement für Risikobewertung und Fehlerursachenanalyse. Darüber hinaus werden sie für die Bilderkennung zur Inspektion und Defektklassifizierung in Front-End- und Back-End-Anwendungen eingesetzt. Zudem beschleunigen Simulationen und virtuelle Tests das Prototyping. Das wiederum verkürzt effektiv die Entwicklungszeiten.

Doch mit dem Teilbereich Maschinelles Lernen (ML) und speziellen Methoden zur Informationsverarbeitung, wie Deep Learning (DL), erfährt die Forschung einen Schub. Diese Techniken helfen dabei, den einzigartigen Herausforderungen in der Halbleiterfertigung gerecht zu werden. Denn Technik und Technologie entwickeln sich weiter, und damit steigt auch die Anzahl der zu kontrollierenden Prozessparameter, wie etwa die Kontrolle der Temperatur während des Ätzprozesses.

30 % der befragten Halbleiterhersteller nutzen in der Produktion künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen.

Gerade in der Halbleiterindustrie spielt KI eine doppelte Rolle: Sie fungiert als Schlüsselelement für die Digitalisierung der Fertigungsprozesse und liefert das Werkzeug für die Halbleiterfertigung, um die Betriebsabläufe zu optimieren und die Prozessparameter zu kontrollieren, während die Technologien in Richtung Nanometer-Maßstab voranschreiten. Trotz der vielen Vorteile nutzen laut einer Umfrage unter Halbleiterherstellern nur etwa 30 Prozent der Unternehmen KI/ML in der Produktion.

Alte Gesetze brechen weg, neue Technologien kommen dazu

Die Anforderungen an Halbleiterfabriken (Fab) sind vielzählig und immer drückender: Sie brauchen ein umfangreiches Portfolio, müssen Produktionszyklen kürzen, ständig Änderungen am Produkt vornehmen und dabei die Qualität hoch, aber die Kosten niedrig halten. Der Großteil der Hersteller stützt sich in der Produktion vor allem auf erweiterte Prozesskontrolltechniken (APC). Ihre gesamten Anlagen sind darauf ausgerichtet, jederzeit maßgeschneiderte APC-Systeme von der Stange zu bekommen. Diese Säule wird auch in Zukunft bestehen, doch wird sie zunehmend durch Technologien wie KI und Industrial Internet of Things (IIoT) ergänzt werden, um flexibler zu sein.

Auch sind sich Experten einig, dass die große Rechnung des Mooreschen Gesetzes an ihre Grenzen stößt. Es galt lange als treibende Kraft für Innovation im Bereich der integrierten Schaltung und besagt, dass sich die Komplexität integrierter Schaltkreise (IC) mit minimalen Komponentenkosten regelmäßig verdoppelt. Doch das exponentielle Wachstum lässt sich nicht länger fortsetzen: Die Bauteile können physikalisch nicht noch kleiner werden, sonst stoßen sie auf quantenmechanische Effekte wie den Tunneleffekt. Dieser ermöglicht es Elektronen, eine Barriere zu durchdringen, die sie klassisch gesehen nicht überwinden können. Dadurch entstünden unerwünschte Leckströme in den Transistoren, was die ICs unzuverlässig und leistungsschwächer machen würde. Für weitere Durchbrüche wären also neue Halbleitertechnologien nötig, die wiederum komplexe Fertigungseinrichtungen mit fortschrittlichen Messtechniksystemen erfordern würden. Durch Sensoren und die gesammelten Daten könnte KI hier neue Wege und Methoden in Simulationen erarbeiten, um langwierigen Experimenten und Rückschlägen vorzubeugen.

Laut dem Mooreschen Gesetz verdoppelt sich die Anzahl der Transistoren etwa alle zwei Jahre.

Daten sind die wichtigste Ressource

Obendrein gibt es auch Herausforderungen bei der Einführung von KI in der Halbleiterindustrie. Eine wichtige Hürde sind mangelnde qualitativ hochwertige Daten, die für das Training der KI-Algorithmen benötigt werden. Das können Prozess-, Sensor- und Messdaten sowie historische Daten und Daten aus externen Quellen sein. Jeder Aspekt der Halbleiterverarbeitung hängt im Wesentlichen von genauen und zuverlässigen Daten aus der kritischen Abmessung, dem lithografischen Musterdesign und der Materialzusammensetzung ab.

Zudem fehlt es vielerorts an geschultem Personal, das die Systeme trainiert und implementiert. Der gesamte Prozess erfordert einen mentalen Wandel in den Unternehmen, und die Bereitschaft, neue Techniken und Technologien zu akzeptieren und diese in die Prozesse einzubringen. Der Konkurrenzdruck auf Halbleiterhersteller nimmt zu, wenn es darum geht, Produktionszeiten und -kosten zu reduzieren, die Qualität zu verbessern, Innovationszyklen zu verkürzen und die Einführung neuer Technologien zu beschleunigen.

Welche Schritte bereits unternommen wurden und wie weit der Weg gehen kann, zeigt Teil 2 unserer Reihe.